Der rechtliche Beirat der No SLAPP Anlaufstelle im Gespräch: Chan-jo Jun
Die No SLAPP Anlaufstelle zum Schutz publizistischer Arbeit in Deutschland wird von derzeit 17 Rechtsexpert*innen unterstützt, um die Schulungen und andere Angebote der Anlaufstelle auf fachlich höchstem Niveau zu halten. Und um bei konkreten SLAPPs bestmöglich rechtliche Beratung zu vermitteln, bei Fällen mit presse- und äußerungsrechtlichen, arbeitsrechtlichen, aber auch strafrechtlichen Dimensionen.
Mit dieser Interviewserie stellen wir die Beirätinnen und Beiräte einzeln vor. Den Anfang macht Chan-jo Jun aus Würzburg. Bekannt wurde er durch sein juristisches Engagement gegen Hasskriminalität auf Facebook, mit dem er Ermittlungsverfahren gegen Mark Zuckerberg und andere Facebook-Manager ins Rollen und Facebook vor Gericht brachte. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen auf dem Medien- und Onlinerecht, sowie im (Medien-)Strafrecht.
Welchen Bezug haben Sie zum Thema SLAPP - mit welchen Formen von Einschüchterung durch rechtliche Mittel beschäftigen Sie sich besonders intensiv?
Chan-jo Jun: Wir sind häufig an Verfahren mit „Angelegenheiten von öffentlichen Interesse“ beteiligt, sei es als Rechtsanwälte oder immer wieder auch als Antragsgegner. Nicht jeder Prozess im Äußerungsrecht ist dabei gleich ein Missbrauchsfall, aber wir sehen sehr deutlich, dass bei vielen Prozessen das eigentliche Klageziel gar nicht im Vordergrund steht, sondern eher die mittelbare Wirkung der Schikane und Sanktionierung. Das funktioniert bisher sehr gut. Ich habe miterlebt, wie Verlage und Behörden nach einer Klagekampagne das Fazit gezogen haben, einen bestimmten Angreifer lieber nicht mehr zu kritisieren, selbst wenn die Prozesse ganz oder mehrheitlich gewonnen wurden. Es handelt sich dabei oft um Materialschlachten, wo sich derjenige durchsetzt, der die tieferen Taschen hat und nicht derjenige, der im Recht ist.
Was sind Ihre Ratschläge für Betroffene von rechtlichen Einschüchterungsversuchen?
Erwarten Sie keine Durchhalteparolen von mir. Wer in den Fokus von finanzstarken SLAPP-Angreifern gerät, kann sich nur dann wehren, wenn er die finanziellen Mittel hat und bereit ist, sie dafür einzusetzen. Darüber hinaus braucht der Beklagte auch die Nerven und Zeit für die Prozesse. Natürlich kann man an Stolz und Durchhaltevermögen appellieren, aber bei seriöser Beratung ist die richtige Lösung häufig Löschen, Unterwerfen und Mittel sparen. Das ist ja der Grund, warum der Gesetzgeber jetzt schnell handeln muss.
In der EU-Richtlinie "Über den Schutz von Personen, die sich öffentlich beteiligen, vor offensichtlich unbegründeten Klagen oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren" wurde SLAPP zum ersten Mal in Europa von offizieller Seite definiert. (Inwiefern) beeinflusst diese Formulierung ihre Arbeit jetzt schon, noch vor der Umsetzung in nationales Recht?
Wir hatten schon vor zwei Jahren beim ersten Entwurf der SLAPP-Richtlinie damit begonnen, SLAPP in gerichtlichen Verfahren argumentativ einzusetzen. Damals gab es noch keine ausformulierten Kriterien, wann tatsächlich Missbrauch vorliegt und die Gerichte haben die Argumente schlicht ignoriert. Das Acronym SLAPP ist für deutsche Richter auch schwer zu fassen. Wir hoffen, dass mit der jetzigen Definition Gerichte die schon vorhandenen Gestaltungsmöglichkeiten nutzen werden.
Worauf sollte der Gesetzgeber hierzulande bei der Umsetzung unbedingt achten?
Die Umsetzung wird für den Gesetzgeber im ministerialen Elfenbeinturm ein schweres Unterfangen. Von den Experten, die aus praktischer Sicht über das Phänomen berichten könnten, ist ein Großteil selbst Profiteur vom SLAPP-Geschäftsmodell und hat naturgemäß kein Interesse daran, dass Klagekampagnen erschwert werden. Mit überambitionierten Maßnahmen wiederum schränkt man den Opferschutz zu stark ein. Die Richtlinie hat die Fragen zur genauen Abwägung offengelassen und an die nationalen Gesetzgeber delegiert. Ich hoffe, dass der deutsche Gesetzgeber die Gelegenheit nutzt, um auch Fälle ohne internationalen Bezug zu regeln.
Welches öffentliche Verständnis von SLAPP schlagen Sie bis zur Umsetzung vor - welche Fälle sollten als SLAPP verstanden werden, welche vielleicht auch nicht? Was ist Ihrer Meinung nach das Wichtigste, was die Öffentlichkeit über SLAPPs wissen sollte?
Ich würde mich an den Definitionen der Richtlinie orientieren, aber dabei die grenzüberschreitende Beschränkung weglassen. Diese existiert nur aus Zuständigkeitsgründen. In der Kommunikation werden wir große Probleme damit haben, dass bei der nötigen Verkürzung des Konzeptes die Ansätze für die Kritik entstehen. Einem Gegner Äußerungen zu verbieten, ist nicht von vornherein missbräuchlich. Bei offensichtlich unbegründeten Klagen ist der Missbrauch offenkundig, schwierig wird es aber bei den Missbrauchsfällen von teilweise begründeten Klagen. Hier darf man dem Kläger seinen Rechtsschutz nicht völlig verwehren, aber gerade die Eilverfahren eignen sich gut für eine behutsame Verschiebung der Gewichte.
Wie können rechtliche Einschüchterungsversuche Ihrem Verständnis nach besonders gut abgewehrt werden? Wenn Sie Ihre Mandant*innen gegen SLAPPs verteidigen, welche Dinge brauchen Sie dann in Ihrem Werkzeugkasten?
Da es den Angreifern um öffentliche Wahrnehmung geht, ist genau die öffentliche Meinung auch das Ziel für eine Verteidigungsstrategie. Damit heizt man den Streit allerdings erst Recht an, so dass ein Gegenangriff nur dann in Frage kommt, wenn man die Ressourcen hat, um den Kampf durchzustehen. Wer das nicht hat, muss auf den Gesetzgeber hoffen.