Studie “Feindbild Journalist*in”: SLAPP-Klagen als wachsende Bedrohung für die Pressefreiheit in Deutschland

Die neunte Auflage der Studie "Feindbild Journalist:in" dokumentiert alarmierende Trends bei der Einschüchterung von Medienschaffenden

Die neunte Ausgabe der Langzeitstudie "Feindbild Journalist:in" zeichnet ein alarmierendes Bild der Pressefreiheit in Deutschland: Mit 98 dokumentierten physischen Angriffen auf Journalist:innen wurde 2024 der höchste Stand seit Beginn der systematischen Erfassung im Jahr 2015 erreicht. Neben körperlicher Gewalt identifizieren die Autor:innen Patrick Peltz und Alina Haynert auch strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung (SLAPPs) als zunehmend relevante Bedrohung für die journalistische Arbeit.

Mehrfache Bedrohungen für die Pressefreiheit

Die Studie des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit in Kooperation mit dem Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger im Rahmen des Media Freedom Rapid Response untersucht umfassend verschiedene Dimensionen der Gefährdung von Journalist:innen in Deutschland und identifiziert dabei mehrere besorgniserregende Trends:

  • 76% aller physischen Angriffe ereigneten sich im Kontext von Demonstrationen

  • Berlin hat mit 62 Fällen Sachsen als Bundesland mit den meisten Angriffen abgelöst

  • Lokaljournalist:innen in Sachsen und Thüringen erleben systematische Einschüchterungsversuche

  • Exiljournalist:innen werden durch transnationale Repression autoritärer Regime bedroht

  • Zunehmend prekäre Arbeitsverhältnisse gefährden die wirtschaftliche Grundlage des Journalismus

Die Studie geht dabei auch mit einer ausführlichen Analyse umfassend auf die zunehmende Problematik von strategischen Klagen gegen öffentliche Beteiligung (SLAPPs) ein.

SLAPPs: Eine wachsende Bedrohung in Deutschland und Europa

Die Studie dokumentiert eine alarmierende Zunahme von SLAPP-Klagen in Europa: Von 2016 bis 2022 stieg die Zahl von 26 auf 161 SLAPP-Klagen pro Jahr. SLAPPs werden als strategische Klagen definiert, die nicht primär darauf abzielen, einen Rechtsstreit zu gewinnen, sondern kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen.

Typischerweise werden solche Klagen von finanzstarken und mächtigen Akteur:innen wie Unternehmen oder Einzelpersonen gegen Journalist:innen, Aktivist:innen oder zivilgesellschaftliche Organisationen eingesetzt. Die Kläger:innen werfen den Beklagten meist Rufschädigung, Verleumdung oder falsche Tatsachenbehauptungen vor. Das eigentliche Ziel ist jedoch die Einschüchterung durch finanzielle und psychische Belastung des Verfahrens selbst.

Der "Chilling Effect" als besondere Gefahr

Besonders besorgniserregend ist der von der Studie hervorgehobene "Chilling Effect": Selbst wenn einzelne SLAPP-Klagen juristisch erfolglos bleiben, können sie andere Journalist:innen davon abhalten, über bestimmte Themen oder Akteur:innen kritisch zu berichten. Dadurch wird eine Art vorauseilender Gehorsam erzeugt, der die Pressefreiheit faktisch einschränkt.

Die im zweiten Teil der Studie dokumentierten Interviews mit Lokaljournalist:innen aus Sachsen und Thüringen illustrieren diesen Effekt eindrücklich. So berichteten mehrere Befragte, dass sie bestimmte konfliktträchtige Themen meiden – nicht primär aus Angst vor direkten Repressalien, sondern wegen des antizipierten Mehraufwands durch Beschwerden und feindliche Reaktionen. In Kombination mit personeller Unterbesetzung in den Redaktionen führt dies zu einer faktischen Einschränkung der Pressefreiheit.

Erfolge und Herausforderungen im Kampf gegen SLAPPs

Ein Lichtblick ist die 2024 verabschiedete Anti-SLAPP-Richtlinie der EU, auch bekannt als "Daphne's Law" – benannt nach der 2017 ermordeten maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia, gegen die zum Zeitpunkt ihrer Ermordung 48 SLAPP-Klagen anhängig waren.

Die Richtlinie sieht unter anderem folgende Maßnahmen vor:

  • Möglichkeit der schnellen Abweisung offensichtlich unbegründeter Klagen

  • Übernahme der gesamten Verfahrenskosten durch die klagende Partei bei missbräuchlichen Klagen

  • Beschleunigte Verfahren für SLAPP-bezogene Entscheidungen

  • Sanktionsmöglichkeiten für SLAPP-Kläger:innen

Die Studie weist jedoch auf Grenzen der Richtlinie hin: Sie gilt zunächst nur für grenzüberschreitende Fälle und überlässt den Mitgliedstaaten erheblichen Spielraum bei der nationalen Umsetzung, was zu lückenhaftem Schutz führen könnte.

Die Rolle der No SLAPP Anlaufstelle

Als Reaktion auf die zunehmende Bedrohung durch SLAPP-Klagen wurde im Mai 2024 die No SLAPP Anlaufstelle ins Leben gerufen. Die Studie dokumentiert die Arbeit unserer Anlaufstelle, die von sechs Organisationen gegründet wurde (Blueprint for Free Speech, Reporter ohne Grenzen, DJV, dju in ver.di, Frag den Staat und Aktion gegen Arbeitsunrecht).

Die Anlaufstelle bietet Rechtsberatung, psychosoziale Unterstützung und Öffentlichkeitsarbeit für Betroffene von SLAPP-Klagen. Zusammen mit der Initiative "Gegenrechtsschutz" (gegründet 2023 von Frag den Staat, der Gesellschaft für Freiheitsrechte und dem Verfassungsblog) ist sie in der Studie als eine wichtige Ressource für von SLAPPs betroffene Medienschaffende angeführt.

Ein weiteres positives Signal ist die wachsende staatliche Anerkennung des Problems: Seit Januar 2025 gibt es beim Bundesamt für Justiz einen "FOCAL Point SLAPP", der als nationale Anlaufstelle fungiert. Zudem deutet die im Februar 2025 an der Deutschen Richterakademie durchgeführte Fachtagung zu SLAPP-Klagen auf ein wachsendes Problembewusstsein in der Justiz hin.

Handlungsempfehlungen für einen besseren Schutz

Die Studie formuliert mehrere konkrete Empfehlungen, wie Journalist:innen besser vor SLAPP-Klagen geschützt werden könnten:

  1. Umfassende Umsetzung der EU-Richtlinie in deutsches Recht, die über den Minimumstandard hinausgeht und auch rein nationale Fälle einschließt

  2. Vollständige Erstattung von Abmahnkosten und Rechtsanwaltsgebühren für SLAPP-Beklagte

  3. Abschaffung des "fliegenden Gerichtsstands", der es Kläger:innen ermöglicht, besonders klägerfreundliche Gerichte auszuwählen

  4. Deckelung der Kosten für eine erste Abmahnung

  5. Reduzierung der Streitwerte in äußerungsrechtlichen Streitigkeiten

Zusammenhängende Bedrohungen erfordern ganzheitliche Antworten

Die SLAPP-Problematik verdeutlicht, wie verschiedene Bedrohungsformen zusammenwirken: Die finanzielle Prekarisierung des Journalismus macht Medienschaffende besonders anfällig für Einschüchterungsklagen, da ihnen oft die Ressourcen für eine adäquate rechtliche Verteidigung fehlen. Gleichzeitig verstärkt die in Teilen der Bevölkerung verbreitete Medienfeindlichkeit die Wirksamkeit von SLAPP-Klagen, da die öffentliche Unterstützung für betroffene Journalist:innen oft gering ist.

Die Studie "Feindbild Journalist:in 9" liefert damit ein umfassendes Bild der verschiedenen, sich gegenseitig verstärkenden Bedrohungen für die Pressefreiheit in Deutschland und unterstreicht die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Ansatzes zum Schutz dieser demokratischen Grundfunktion. Die No SLAPP Anlaufstelle bleibt ein unverzichtbarer Baustein in diesem Schutzkonzept – ihre Arbeit wird durch die Befunde der Studie in ihrer Bedeutung bestätigt und gestärkt.

Weiterführende Informationen:

  • Die vollständige Studie "Feindbild Journalist:in 9" ist verfügbar unter: https://www.ecpmf.eu/feindbild-journalistin-9/

  • Bei Fragen zu SLAPP-Klagen und möglichen Unterstützungsangeboten wenden Sie sich an die No SLAPP Anlaufstelle: www.noslapp.de

  • Für akut betroffene Journalist:innen bietet die No SLAPP Anlaufstelle kostenlose Erstberatungen an

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Der rechtliche Beirat der No SLAPP Anlaufstelle im Gespräch: Dr. Jasper Prigge, LL.M.